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Wie man zwangsläufig unglücklich wird.

Neulich las ich etwas über das Glück und seine Unterschiede. Lebensglück, hieß es, sei anders als Lottoglück. Es hänge nicht vom Geld ab. Und anders als das Liebesglück, auch nicht von anderen Menschen.


Streben nach Glück als Freiheitsrecht

Das Streben nach Glück ist dem Menschen so eigen, wie sonst nur die Suche nach Wasser oder Nahrung. Da es so elementar zu sein scheint, ist es als Bürgerrecht in der Gründungsurkunde der Vereinigten Staaten, der Unabhängigkeitserklärung als individuelles Freiheitsrecht verbrieft. Das Streben nach Glück - nicht das Glück selbst. Religionen, Philosophen, Gelehrte aller Kulturen sowie Dichter, Schriftsteller, Filmemacher und Wissenschaftler ergründen seit Urzeiten Wege, die zum Glück führen.



Glück existiert nicht

Das Streben nach Glück erscheint mir wie die Suche nach dem heiligen Gral und auch darüber denke ich eher skeptisch. Da es sich um einen Gegenstand handelt, könnte er zumindest existiert haben. Dessen beste Fähigkeit war vermutlich, dass drin blieb, was man hineinschüttete und man daraus trinken konnte. Alles, unwichtig.

Wichtig war: Jemand hat ihn besessen und irgendwann verkauft, vergraben, eingeschmolzen oder verloren. Jedenfalls ist er verschwunden. Obwohl viele ihn suchten und noch heute suchen, hat niemand ihn bisher gefunden. Wäre dem nicht so, gäbe es keinen Mythos und der Becher Christi stünde heute in einer Vitrine im Vatikan.


Das Glück ist jedoch kein Gegenstand. Man kann es nicht kaufen, aufbewahren oder verwalten. Und schon gar nicht kann man es verlieren. Dennoch wollen es alle haben. Das ist ein klarer Fall von Mythos.


Irgendwie magisch


Man kann nur glücklich sein, oder nicht. Seltsam magisch ist der Effekt der Substantivierung. Wenn man aus einem Adjektiv wie "glücklich" ein Substantiv wie "Glück" macht, geschieht etwas sehr Eigentümliches. Es entsteht ein Hauptwort, das keinen existierenden Gegenstand oder Fakt beschreibt und dennoch sofort ein Eigenleben beginnt und sogar Schicksale an sich bindet. Ähnlich ist es mit "frei sein" und "lieb" oder "geliebt sein".


Das Sein betreffende Adjektive trifft häufig und völlig zu Unrecht das Schicksal, zu Substantiven gemacht zu werden. Mit gravierenden Folgen. Glückliche Menschen haben dann einfach Glück, wie freie Menschen scheinbar alle Freiheiten haben. Vielleicht haben sie sich die einfach genommen und das Glück dazu gepachtet! Dagegen ist, kein Glück zu haben, oft eine plausible Erklärung für Misslingen. Dass ihnen die Hände gebunden sind, verwenden viele als Metapher für die fehlende Freiheit, entscheiden zu können. Es sind nur Begriffe, aber Sie ziehen uns magisch an, nicht wahr?


Allerdings steckt keine Zauberei dahinter. Mit der Umwandlung von Adjektiven zu Hauptwörtern erklären wir innere Zustände zu Äußerlichkeiten. Wir machen sie gegenständlich und gleichzeitig unerreichbar.


Der Vorteil liegt auf der Hand: Wir geben jegliche Verantwortung für unser eigenes Schicksal ab. Denn

glauben wir an das Konzept des Glücks, sind stets die Umstände, andere Menschen oder höhere Mächte dafür zuständig. Bloß wir selbst nicht.


Beten, Opfern und Schnickschnack


Es ist gut dokumentiert. In früheren Zeiten waren Götzen, Heilige und Götter die Zuständigen für das Glück. Sie hatten unzählige Namen. Man brachte ein Lamm oder Kalb zum Tempel oder kaufte kurz entschlossen etwas bei den Händlern davor, um es den Göttern darzubieten. Außerdem kaufte man bei den Händlern noch irgendwelchen Schnickschnack, als zusätzliche Opfergabe oder, als Mitbringsel zum Nachweis des absolvierten Tempelbesuchs.


Fehlte es weiterhin an Glück, waren Ursache wie Lösung schnell gefunden: Mann hatte einfach noch nicht genug geopfert und hatte noch einmal kräftig nachzulegen.



Heute opfern wir vor allem Zeit und Geld in allen möglichen Tempeln. Wir kaufen ebenfalls jeden möglichen Schnickschnack, bloß um nach außen zu zeigen, wie groß unsere Opferbereitschaft ist. Wir nennen es Konsum.


Die Tempel sind heute andere, die Götter tragen neue Namen und Gewänder. Nur bei den Opfergaben bin ich mir nicht sicher, dass sich viel geändert hat.


Wie dem auch sei. Bis heute gleich geblieben ist, um was Menschen bitten:


Ein langes Leben, Gesundheit und Glück.


Und die Erklärung, nicht ausreichend geopfert zu haben, falls etwas davon fehlt, bleibt topaktuell.


Manche setzen für etwas so Unbegreifliches wie Glück sogar Gesundheit und Leben aufs Spiel. Spätestens hier wird deutlich, das es sich bei Glück nicht bloß um einen esoterischen Begriff handelt. Es ist ein handfester Aberglaube.

Das Zeit-Dilemma


Also gut. Glück existiert nicht. Dann zurück zum Gefühl! Das gibt es schließlich. Gefühle sind immer real. Ganz im Gegensatz zu dem, was unsere Gefühle oft auslöst. Liegt es in der Vergangenheit, ist es vorbei. Nichts Vergangenes ist jetzt real. Liegt der Auslöser eines Gefühls in der Zukunft, ist auch dieser nicht real.


Der Grund, warum man sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt glücklich fühlt, ist definitiv real. Diese Art des Seins, erleben wir ausschließlich in der zeitlosen Gegenwart.


Liegt unser Fokus auf dem, was wir jetzigen Augenblick tun, spüren und erleben, dann nehmen wir eine tiefe Befriedigung oder Erfüllung wahr. In solchen Augenblicken scheint die Zeit stillzustehen. Jeder kennt den Effekt, dass man in den glücklichen Momenten des Lebens nicht bemerkt wie die Zeit vergeht. Erst wenn der Moment vorüber ist, realisiert man, dass Stunden, Tage und manchmal Jahre vergangen sind.

Richten wir dagegen unseren Fokus auf Vergangenes oder machen uns Gedanken über die Zukunft, wenden wir uns mit unserer Aufmerksamkeit vom gegenwärtigen Empfinden ab. Unser Geist verlässt das Hier und Jetzt und macht sich auf die Reise. Oft bemerken andere Anwesende, dass wir abwesend sind.



Spätestens dann, wenn wir, veranlasst durch unser geistiges Zeitreisen, alte Wunden spüren, alte Geschichten bedauern, bereuen oder vermissen, auch wenn wir uns Sorgen darüber machen, was die Zukunft für uns bereit hält, spätestens dann, fühlen wir uns eher unglücklich.

Das Gleiche geschieht, sobald wir damit beginnen, unser Glück zu vermessen, zu bewerten oder zu vergleichen. Wir hören schlicht auf, glücklich zu sein, weil wir stattdessen lieber messen, werten und vergleichen wollen. In den glücklichsten Momenten sind wir deshalb manchmal schlagartig unglücklich.


Es ist also nicht das Glück, das uns verlässt. Wir sind es selbst, die sich vom Glücklichsein abwenden, indem wir uns auf die Suche nach einem Glück machen, das nicht existiert. Die Suche, das Vergleichen und Bewerten sind, was uns zwangsläufig unglücklich macht.


Sobald ich mich in einem glücklichen Moment frage, ob ich glücklich bin, habe ich aufgehört, es zu sein.



Gute und schlechte Nachrichten


Zeitreisen, Bewerten, Vergleichen können Gewohnheiten werden, die uns in dauerhafter Frustration und Depression gefangen halten. Die schlechte Nachricht ist, dass diese gewohnten Verhaltensweisen dazu führen, dass wir uns damit selbst vom Glücklichsein abhalten. Immer und immer wieder. Hartnäckig sind Gewohnheiten immer dann, wenn sie schon sehr alt oder mit dem Glauben verbunden sind, das man ohne sie schlechter dran ist. Noch schlimmer, wenn beides zutrifft.


Die gute Botschaft ist: Man kann schlechte Gewohnheiten ablegen und durch neue wünschenswerte Gewohnheiten ersetzten.



Die Begleitung von "Entwöhnungen" aller Art ist eine klassische Coachingaufgabe, in welcher ich selbst viel Erfahrung habe. Gerne sprechen wir darüber im kostenfreien Vorgespräch. Suche Dir hier einen passenden Termin und buche ihn für Dich:


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